NZZ am Sonntag; 07.01.2007
Polizisten wollen Gewalttäter vor der Euro 08 davor warnen, Krawall zu machen
Vor der Euro 08 soll die Polizei Hooligans zu Hause oder am Arbeitsplatz besuchen, um sie davon abzubringen, an Ausschreitungen teilzunehmen. Das schlägt der Sicherheitsstab der Fussball-EM vor.
Die Sicherheitsverantwortlichen der Euro 08 prüfen neue Massnahmen, um Schweizer Hooligans ruhigzustellen. Die in der neuen Hooligan-Datenbank verzeichneten Personen sollen vor der EM davor gewarnt werden, am Rande der Spiele gewalttätig aufzutreten - und zwar, indem ihnen Polizisten zu Hause oder am Arbeitsplatz Besuche abstatten. «Damit könnte ihnen signalisiert werden, dass sie uns bekannt sind und sich hüten sollen, sich an irgendwelchen Auseinandersetzungen zu beteiligen», sagt Christoph Vögeli, Leiter der Schweizerischen Zentralstelle Hooliganismus und Chef des Sicherheitsdienstes der Stadtpolizei Zürich. In Deutschland habe sich vor der WM gezeigt, wie erfolgreich solche Besuche seien. «Diese Massnahme wäre auch in der Schweiz nützlich, auch wenn hier der Hooliganismus weniger ausgeprägt ist», sagt Vögeli. Es gehe darum, die Hooligans aus der Anonymität zu holen. Beschlossen werden müsse das Vorgehen vom Sicherheitsstab der Euro 08, dem Vertreter von Bund, Kantonen, den Austragungsorten und der Uefa angehören. Auch der Leiter des Stabs, Euro-08- Sicherheitschef Martin Jäggi, ist überzeugt von der Wirksamkeit der Hausbesuche und empfiehlt den Polizeikorps, solche durchzuführen. «Aufgrund der positiven Erfahrungen in Deutschland fasst man ins Auge, für die Euro 08 ebenfalls solche Massnahmen zu treffen», sagt er. Die neue Hooligan-Datenbank, die seit Anfang Jahr aufgebaut wird und bis Ende 2007 voll in Betrieb sein soll, ermöglicht es der Polizei, die Namen und Adressen bekannter Hooligans zentral zu sammeln. Registriert werden Personen, die aufgrund von Gewalttätigkeit mit Rayonverbot, Ausreisebeschränkung, Meldeauflagen oder Polizeigewahrsam bestraft wurden. Laut dem Bundesamt für Polizei beträgt die Zahl der potenziell gewaltbereiten Fans in der Schweiz 1500 bis 2000 Personen. 300 Personen werden zu den klassischen Hooligan-Gruppen gerechnet. Diese suchen aktiv die Auseinandersetzung mit anderen Schlägern, mit der Polizei, aber auch mit unbeteiligten, nur am Sport interessierten Fans. In Deutschland gibt es die Hausbesuche, im Fachjargon Gefährdeansprache genannt, schon seit längerem, die Massnahme wurde aber vor der WM im Sommer intensiviert. Beamte der regionalen Polizeiwachen statteten sämtlichen der über 8400 Personen, die in der nationalen Datenbank «Gewalttäter Sport» verzeichnet sind, Besuche ab - mit grossem Erfolg. «Die Massnahme erwies sich als sehr effektiv», sagt Jürgen Göbel, Pressesprecher der Kölner Polizei, stellvertretend für viele seiner Kollegen - «insbesondere dann, wenn Ehefrauen, Eltern oder Arbeitgeber den Besuch miterlebten». Wenn die Hooligans zu Hause nicht anzutreffen waren, suchten die Polizeibeamten sie direkt am Arbeitsplatz auf. Den Betroffenen wurde etwa erklärt: «Sie sind in der Datenbank verzeichnet, nachdem Sie vor drei Monaten in eine Schlägerei verwickelt waren. Wir kennen Sie und werden während der WM ein Auge auf Sie haben.» Weiter wurden den Hooligans die Konsequenzen erklärt, falls sie bei Krawallen gesehen werden sollten. Die Personen seien aber nicht etwa ständig überwacht worden, sagt Göbel. Die Androhung habe vielmehr «einen psychologischen Aspekt» mit der Aussage «Wir erkennen und finden dich». Während der WM seien dann die bekannten Kölner Gewalttäter nicht aufgefallen. In ganz Deutschland ging die WM ohne grössere Ausschreitungen über die Bühne. Die Warnungen der deutschen Polizei ergingen sogar über die Grenze hinaus. So wurden 37 Schweizer, die zu einem früheren Zeitpunkt nach Krawallen bei einem Spiel in Ulm registriert worden waren, per Brief davor gewarnt, an der WM negativ aufzufallen. Im Hinblick auf die Euro 08 wird die internationale Zusammenarbeit wichtig werden, denn die grösste Gefahr dürfte laut Hooligan-Experte Vögeli nicht von Schweizern ausgehen. Und auch bezüglich Kooperation kann Deutschland zum Vorbild werden. Vor der WM wurden etwa in England 300 Hooligans die Pässe abgenommen, um sie an der Ausreise zu hindern. Weiter begleiteten englische Polizeibeamte ihre Fans zu den WM-Spielen. Auch in der Schweiz und in Österreich sollen Hooligan-Spezialisten Fans aus ihren jeweiligen Ländern überwachen. Gewaltbereite Personen können dann, so die Hoffnung, rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen werden.